SPD Nordend II

SPD Nordend II

Zum Wohle aller

Veröffentlicht am 03.02.2023 in Allgemein

Die Exzesse unseres Wirtschaftssystems zerstören die Lebensbedingungen auf unserer Erde. Zur Bewältigung der Krisen muss Gemeinwohl das Ziel sein.

Wir leben im Zeitalter der „Polykrise“ – diese Feststellung hat sich auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos verbreitet, wo sich führende Vertreter von Regierungen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft getroffen haben. Das gleichzeitige Auftreten mehrerer katastrophaler Ereignisse ist ein Eckpfeiler des heutigen sozioökonomischen und geopolitischen Klimas. Angesichts so immenser Herausforderungen wie der globalen Erwärmung, maroder Gesundheitssysteme, einer wachsenden digitalen Kluft und finanzialisierter Geschäftsmodelle, die die Einkommens- und Vermögensungleichheit immer weiter verschärfen, ist es keine Überraschung, dass die Politikverdrossenheit zunimmt – ideale Voraussetzungen für Populisten, die schnelle Lösungen versprechen. Die wirklichen Lösungen sind jedoch komplex und erfordern Investitionen und Regulierung sowie soziale, organisatorische und technologische Innovationen, und zwar nicht nur von der Regierung oder der Wirtschaft, sondern auch von Einzelpersonen und Organisationen der gesamten Zivilgesellschaft.

Regierungen, die glauben, die Politik könne bestenfalls Marktversagen beheben, tun oft zu wenig und zu spät. Um einen transformativen Wandel zu erreichen, der integratives und nachhaltiges Wachstum hervorbringt, muss das Augenmerk weniger auf das Reparieren, sondern mehr auf die Gestaltung und Schaffung von Märkten gerichtet werden. Dies erfordert die Ergänzung des Konzepts der öffentlichen Güter durch das Konzept des „Gemeinwohls“, bei dem es nicht nur um das Was, sondern auch um das Wie geht.

Das Gemeinwohl ist ein Ziel, das gemeinsam durch kollektive Intelligenz erreicht werden und jedem zugutekommen soll.

Das Gemeinwohl ist ein Ziel, das gemeinsam durch kollektive Intelligenz erreicht werden und jedem zugutekommen soll. Es baut auf der Idee der Allmende auf, geht aber noch weiter, indem es sich darauf konzentriert, wie die zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels erforderlichen Investitionen, Innovationen und die Zusammenarbeit gestaltet werden können. Gemeingüter sind das Produkt kollektiver Interaktionen und Investitionen, die gemeinschaftliches Eigentum und Governance-Modelle erfordern. Folglich müssen die Vorteile, die sich aus solchen Aktivitäten ergeben, kollektiv geteilt werden. Das Gemeinwohl befasst sich auch mit der Notwendigkeit einer effektiven internationalen Governance, die in dem Konzept der globalen öffentlichen Güter zum Ausdruck kommt, das geprägt wurde von meiner brillanten Kollegin, der verstorbenen Inge Kaul, die die Arbeit unserer Global Commission on the Economics of Water mitgestaltet hat.

In seiner Enzyklika vom Mai 2015, Laudato Si’: Über die Sorge für unser gemeinsames Haus, plädierte Papst Franziskus wortgewaltig für ein Gemeinwohldenken in einer sich ständig verändernden Welt. Dies ist nicht nur abstrakter Idealismus. Das Gemeinwohl bietet einen nützlichen Rahmen sowohl für die Festlegung gemeinsamer Ziele als auch für die Ausarbeitung der Wege zu ihrer Verwirklichung. Franziskus spricht von der Notwendigkeit der Subsidiarität (dem Grundsatz, dass bestimmte Probleme am besten auf der lokalsten Ebene angegangen werden) und davon, dass wir die Welt mit den Augen der Schwächsten sehen sollten.

Die Priorität für alle sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, so Franziskus, sollte darin bestehen, die wesentlichen Bedingungen zu schützen, die das menschliche Leben erhalten. Entscheidungen für das Gemeinwohl zu treffen, bedeutet, die Würde der sozial, politisch und wirtschaftlich Ausgegrenzten zu verteidigen – nicht nur mit Worten, sondern mit politischen Maßnahmen und neuen Formen der Zusammenarbeit. Es bedeutet, ein Netzwerk der Solidarität aufzubauen, durch das die Ungehörten an kritischen Entscheidungsprozessen teilhaben können. Diese Ziele können durch ein neues Wachstumsmodell gefördert werden, das gemeinsam mit den Ausgegrenzten verfolgt und nicht einfach in ihrem Namen umgesetzt wird. Genossenschaftsorganisationen haben sich beispielsweise als wirksam erwiesen, wenn es darum geht, Menschen mit begrenzten Mitteln zusammenzubringen und ihnen Handlungsmöglichkeiten zu geben, die sie sonst nicht gehabt hätten.

Einige Wirtschaftssektoren üben in bestimmten Bereichen heute mehr Macht aus als die Regierungen.

Franziskus weiß auch, dass es die Pflicht des Staates ist, das Gemeinwohl im Namen aller zu verteidigen, da einige Wirtschaftssektoren in bestimmten Bereichen heute mehr Macht ausüben als die Regierungen. Um diesem Trend entgegenzuwirken und unsere größten Herausforderungen zu bewältigen, ist ein grundlegender Wandel in der politischen Ökonomie erforderlich. Bislang wird das Gemeinwohlprinzip meist nur als Korrektiv für einzelne Auswüchse des gegenwärtigen Systems angesehen. Tatsächlich sollte es das eigentliche Ziel des Systems darstellen.

Geld ist nicht genug. Genauso wichtig ist die Art der von uns geförderten Zusammenarbeit. Im Fall von COVID-19 haben wir sehr erfolgreich und gemeinsam in die Forschung zur Entwicklung von Impfstoffen investiert. Aber wir haben nicht sichergestellt, dass das Endergebnis in ein „gemeinsames Gut“ umgesetzt wird: nämlich eine vollständig immunisierte Weltbevölkerung.

Allzu oft gehen wir zu nachlässig mit Partnerschaften um. Nur weil man eine „Partnerschaft“ eingegangen ist, heißt das noch lange nicht, dass man gut für das Gemeinwohl zusammenarbeitet – dazu gehören auch eine gemeinsame Zielsetzung und eine Abstimmung von Risiken und Chancen. Alle Beteiligten müssen sich nicht nur über das Wie, sondern auch über das Was einig sein. Auf diese Weise lassen sich Impfstoffe nicht nur entwickeln, sondern auch für alle zugänglich machen.

Bei einem gemeinwohlorientierten Ansatz ist jeder Schritt des Prozesses fast genauso wichtig wie das Endergebnis.

Bei einem gemeinwohlorientierten Ansatz ist jeder Schritt des Prozesses fast genauso wichtig wie das Endergebnis. In den Vereinigten Staaten steckt die Regierung jedes Jahr Milliarden von US-Dollar an öffentlichen Investitionen in die Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich (45 Milliarden US-Dollar allein von den National Institutes of Health im Jahr 2022), lässt dann aber zu, dass alle Gewinne in privaten Händen bleiben. Wenn die „Belohnungen“ einer kollektiven Anstrengung zum Tragen kommen – oft in Form von Gewinnen für die Wirtschaft oder in Form von wertvollem Wissen –, sollten sie in demselben Maße geteilt werden, wie das Risiko geteilt wurde.

Wie ich in meinem Buch Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft zeige, gibt es viele Möglichkeiten, dies zu realisieren. An die öffentliche Förderung könnten Bedingungen bezüglich des geistigen Eigentums oder der Preisgestaltung geknüpft werden, oder es könnte eine Gewinnbeteiligung verlangt werden, zum Beispiel im Rahmen eines Beteiligungsmodells. Auch kollektive Eigentumsstrukturen können zu einer gerechteren Verteilung des Wertes an alle Mitglieder der Gesellschaft beitragen. All diese Regelungen bieten die Möglichkeit, der unangemessenen Machtkonzentration in den Händen einiger weniger privilegierter Personen und Unternehmen entgegenzuwirken.

Diese Probleme sind auch nicht auf das Gesundheitswesen beschränkt. Die digitale Wirtschaft expandiert seit Jahren auf der Grundlage massiver öffentlicher Investitionen. Da die meisten Daten von einigen wenigen mächtigen Unternehmen kontrolliert werden, reproduzieren Schlüsseltechnologien wie die künstliche Intelligenz bereits bestehende Vorurteile und Ungerechtigkeiten. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir einen inklusiveren und transparenteren Rahmen schaffen, indem wir zum Beispiel verlangen, dass die Geschäftsbedingungen für digitale Dienste bestimmten ethischen Standards entsprechen.

Schließlich müssen wir die Macht der kollektiven Intelligenz stärker würdigen. So wie die ESG-Kennzahlen (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) den Unternehmen dabei helfen, über ihre Organisationskultur und ihr Verhalten zu berichten, würde ein Gemeinwohl-Ansatz eine solidere Berichterstattung über die Dynamik zwischen Organisationen und öffentlich-privatem Sektor erfordern, um das gesamte Ökosystem der Zusammenarbeit (oder des Parasitismus, je nachdem) zu erfassen.

Beim Gemeinwohl geht es um intensive Zusammenarbeit, kollektive Intelligenz, die gemeinsame Schaffung von Zielen und Mitteln sowie eine angemessene Aufteilung von Risiken und Erträgen. Eine missionsorientierte Industrie- und Innovationspolitik zeigt, wie diese Grundsätze in die Praxis umgesetzt werden können. Eine Regierung oder ein internationales Gremium setzt ein klares Ziel – oft in Absprache mit anderen Interessengruppen – und schafft dann die Voraussetzungen für eine intensive öffentlich-private Zusammenarbeit, um dieses Ziel zu erreichen. Für diesen Prozess ist die Haltung von Versuch und Irrtum entscheidend. Während die Fahrtrichtung klar sein muss, sollte es auch viel Raum für Bottom-Up-Experimente geben.

Das Gemeinwohl ist ein gemeinsames Ziel. Indem es das Wie ebenso betont wie das Was, bietet es Möglichkeiten zur Förderung der menschlichen Solidarität, des Wissensaustauschs und der kollektiven Verteilung von Gewinnen. Es ist der beste – ja der einzige – Weg, um eine angemessene Lebensqualität für alle Menschen auf einem vernetzten Planeten zu gewährleisten.

© Project Syndicate

Aus dem Englischen von Andreas Hubig

Quelle: https://www.ipg-journal.de/rubriken/wirtschaft-und-oekologie/artikel/zum-wohle-aller-6478/?utm_campaign=de_40_20230131&utm_medium=email&utm_source=newsletter

 

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